Mittwoch, 28. September 2016

Anatomie des ersten Tages


  • 5.45 Uhr: Der Wecker klingelt zu einer echt fiesen, ungewohnten Uhrzeit. Eigentlich möchte ich nur heulen, denn ich habe bescheiden geschlafen und mir tut alles weh, vom Ackern, der extremen Panikattacke mit Powererbrechen und der Erkältung.
  • 6.45 Uhr: Letzte Taschen mit "Will ich behalten bzw. muss ich in Ruhe durchgucken" werden in Sicherheit gebracht, der Göttergatte verabschiedet sich ebenfalls gerädert ins Büro und ist gespannt auf die Veränderung, die hier im Laufe des Tages eintritt.
  • 6.50 Uhr die fleißigen Herren klingeln an der Tür, bewaffnet mit Müllsäcken (die 15er Pack Säcke von Aldi-Nord, sind nach Auskunft des Chefs die Besten dafür)
  • 7.04 Uhr die beiden Herren sind fleißig am Säcke stopfen, und es werden viele Säcke, denn ich habe im Laufe der Jahre mit meiner Angst ein riesiges Chaos angerichtet. Ich habe mich im Arbeitszimmer verschanzt, mit Getränken, etwas zu essen, Taschentüchern und natürlich Medikamenten. Ich habe Kopfhörer auf und schaue Netflix, um die Geräuschkulisse auszublenden, denn sie macht mir Anst und heute kann ich keine Panikattacke gebrauchen.
  • 7.30 Uhr ich habe mich mal eben rausgetraut um zu gucken und wow, es sieht schon anders aus. Die Herren sind so fix dabei, es ist beeindruckend. Heute stopfen sie nur Müllsäcke und transportieren diese später weg, morgen kommen dann die Sperrmüllsachen weg, wie Kühlschrank, Waschmaschine, alte Wäscheständer, ein kaputtes Schränkchen im Badezimmer etc. Die Geräusche sind recht laut, in meinem Kopf schwirren Gedanken umher " was denken die Nachbarn unter uns?"
  • 8.00 Uhr Im Flur gibt es kein Durchkommen mehr, gut, dass ich nicht auf Toilette muss. Wenn das Gästezimmer "befreit" ist, wenn die Müllsäcke bis zum Abtransport dort gestapelt. Meine Angst wird weniger, auch die Geräusche empfinde ich nicht mehr als so schlimm. Bin ich jetzt "schmerzbefreit", weil die beiden meine Abgründe gesehen haben?
  • 8.45 Uhr der Flur leert sich schon wieder, ich kann nur wiederholen wie beeindruckt ich von dem Tempo bin. Dank Grippostad C und  Dolo-Dobendan geht es mir auch körperlich etwas besser. Habe mich eben mal aus dem Arbeitszimmer getraut und bin geflasht, ich hatte vergessen wie GROSS unsere Wohnung ohne den Plunder ist. Immerhin habe ich das Problem seit 2008 mit mir herumgeschleppt. Immer wenn es an der Tür geklingelt hat, habe ich Panik verspürt: Muss ich mich tot stellen, oder ist es nur der Paketbote, den ich im Treppenhaus abfangen kann? Sicher habt ihr schon auf gewissen Sendern die "Wir helfen Messis" Sendungen gesehen, so extrem ist es nicht, aber schon richtig schlimm. Fotos werde ich mit euch nicht teilen, ich überlasse es eurer Fantasie und freue mich, wenn ihr trotz dieses Bekenntnisses bei mir bleibt.

Dagegen war meine Wohnung in einem ordentlichen zustand. Aber ich fühle mit den Messis, denn es ist schwer gegen Ängste und Zwänge anzukommen.


  • 9.10 Uhr Mein Therapeut schickt mir eine WhatsApp: "Viel Spaß heute!" und bringt mich zum Lachen. Ich denke mir "Auf einmal war es so einfach um Hilfe von außerhalb zu bitten, warum nur habe ich all die Jahre Angst gehabt? Okay, wenn die etwas sehr lautstark auf den Boden stellen, habe ich doch wieder Angst. Wahrscheinlich denken die Nachbarn unter uns dass wir renovieren oder so. Kein Grund für Kopfkino.
http://chibird.com/

Dieses Bild fiel mir gerade in die Hände, ich habe zwar schon viel von diesem Level durchgespielt, aber es ist definitiv eines der aufregendsten Level ever..

  • 10.00 Uhr Die beiden Männer sind der Hammer! Jetzt frage ich mich nur, wie lange sie damit beschäftigt sein werden, eine gefühlte Million blauer Säcke vom 7. Stock ins Erdgeschoss zu transportieren. Es gibt einen Aufzug, zum Glück! Doch der bleibt ja gelegentlich stecken. STOP! Ich will nichts beschreien! Und was denken die Nachbarn, die ich nicht eingeweiht habe, wenn zig Säcke das Haus verlassen? Sollte mir egal sein , oder? Wenn es sie interessiert, kann ich ihnen darüber berichten.
  • 10.20 Uhr Sie beenden jetzt noch das Schlafzimmer und dann bringen sie die Säcke runter und ab zum Recyclinghof. Sie lassen mir einige Säcke da, damit ich, wenn ich mag selber weitermachen kann und sie die Säcke morgen mit entsorgen können. Ich werde absolut noch einiges selber tun, allein schon aus therapeutischen Gründen, doch ich werde es nicht übertreiben, weil mein Körper sonst schlapp macht.
Unser neuer Kühlschrank, der spätestens nächste Woche kommt, bis dahin kommen wir mit der kleinen Kühlbox aus, denn die kann man an den Strom anschließen. Und am Samstag fahren wir zu Ikea, Sofa, Flurgardrobe, Küchenschränke shoppen und noch so einige andere Dinge. Manches ist auch schon über Anazon bestellt worden.
  • 10.35 Uhr DPD liefert neue Backbleche für den Herd, unser altes fällt immer runter. Habe mich noch nicht getraut, die Tür ohne Angst zu öffnen.
  • 10.45 Uhr PANIK! Die Wohnungstür zum Treppenhaus steht weit offen und die ersten Säcke werden in den Flur gestellt. Bitte lass keine Nachbarn vorbeikommen und wenn nur die, denen ich mich anvertraut habe. Man Simone, stell dich nicht so an, es ist okay zu deinen Problemen zu stehen. Es gibt mehr Messis als man denkt, außerdem sind die beiden Herren nicht in weißen Schutzanzügen mit Atemmaske unterwegs, wie ich es 4 Häuser weiter schon mal gesehen habe. Das war einer der Zeitpunkte, an denen ich mal wieder Angst hatte, selber um Hilfe zu bitten, weil es eben so sehr auffällig und unangenehm aussah.
  • 11.15 Uhr die beiden fleißigen Herren von Nintzels sind gerade unten um die Wagen mit Säcken vollzustopfen und ich bin durch die bereits befreiten Räume geflitzt und habe gequietscht, als hätte ich im Lotto gewonnen. Es ist auf einmal so hell in der Wohnung und da ist Platz...soviel Platz!
  • 11.45 Uhr Für heute sind sie durch, jetzt kann ich loslegen und für morgen vorbereiten. Selber noch ein paar Säcke packen und Möbel die weg sollen leeren
  • 13.35 Uhr Der DHL Bote hat noch mehr Pakete gebracht. Ich selber war wild am hin und her räumen und bin total überrascht, wie spät es schon ist und dass ich mich so fit fühle. Muss ein Adrenalinschub sein. Zur Mittagspause gönne ich mir ein Gläschen von Hipp "Pink Guave in Apfel-Banane" Lacht ihr jetzt? Dürft ihr, aber ich mag sowas ganz gern mal als Mahlzeitersatz, zumal ich noch keine Ahnung habe, was wir heute Abend essen werden...
  • 14.30 Uhr GLS bringt ein weiteres riesiges Paket
  • 14.40 Uhr Hermes ruft an um mitzuteilen, dass morgen zwischen sieben und elf Uhr der neue Kühlschrank geliefert wird. Göttlich, dann muss ich noch nicht mit der kleinen Kühlbox auskommen. langsam melden sich mein Rücken und meine Erkältung zurück. Naja, etwas muss ich aber noch schaffen, dann kann ich entspannen und erst heute Abend wieder zuschlagen: in Form von Müllsäcke in unseren großen Tonnen verstauen, die zwecks Abfuhr am Straßenrand stehen und die beiden alten Kühlschränke ausräumen, abtauen soll ich sie nicht.
  • 15.30 Uhr Verdammt, jetzt fällt mir ein, dass ich doch morgen um acht Uhr schon bei Aldi sein wollte, es gibt die Lieblingssjeans des Göttergatten als Sonderposten. Ggf. muss ich wohl die starken Männer bitten den Kühlschrank entgegenzunehmen, falls der gerade geliefert wird, wenn ich mal 20 Minuten weg bin.
  • 17.30 Uhr und ich acker immer noch*lach* auch wenn ich für meine Gewichtsklasse fleißig war, die Herren haben morgen auch noch einiges zu tun. Der Göttergatte ist immer noch nicht zu Hause, dabei wollte er heute früh Feierabend machen...also gegen 14 Uhr. Sehr seltsam!
  • 18.10 Uhr Jetzt hab ich die Nase voll, im doppelten Sinne. Feierabend! Nach und nach entdecke ich, dass leider Dinge weg sind, die nicht weg sollten. Zum Beispiel eine wunderschöne handgemachte Schalte, die immer mein Adventsteller war, Zubehör für meinen Kärcher, und noch ein paar Sachen. Bis auf die Schale kann ich alles wiederbeschaffen, aber um die ist es eben besonders schade, denn sie ist ein Erbstück meiner 2005 verstorbenen Nichte. Aber deswegen bin ich jetzt nicht so traurig, es ist viel wichtiger, das hier wieder Platz ist und ich Mut für die Zukunft habe.




Keine Kommentare: